Wem gehört die Stadt?

Die Sünden der Vergangenheit prägen das Stadtbild von heute

Benjamin Davy, Hochschullehrer, erinnert an das Leitbild in §1 des Baugesetzbuchs: die Sicherung einer menschenwürdigen Umwelt und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Die Grundsätze gehen im Alltag der Stadtplanung jedoch häufig verloren. Stefan Kucera, Planungsdezernent des RVR
untermauert die These. Insbesondere die Baunutzungsverordnung spiegelt das jahrzehntelang praktizierte Mantra der Nachkriegsstadtplanung wider: die gegliederte aufgelockerte Stadt, in der die Nutzungen streng getrennt sind. Die Sünden der Vergangenheit sind heute überall sichtbar als Einfamilienhaus-Wüsten, Bürokomplexe auf der grünen Wiese und Innenstädte mit reiner Einkaufsfunktion, die im Amazon-Zeitalter langsam veröden.

Stefan Szuggat, Planungsdezernent in Dortmund bedauert die schleichende Entmischung in den Quartieren. Zielsetzung müssen durchmischte Quartiere sein mit Wohnen, Gewerbe und fußläufig erreichbaren Dienstleistungen. Wirksam ist aus seiner Sicht nur der Eingriff in bestehende Quartiere, zum Beispiel die Anreicherung von Wohngebieten mit Kultur und Gewerbe. In Wien funktioniert das. In Deutschland steht nicht nur das Baurecht im Weg, sondern oft auch die langen
Umsetzungszeiten.

Mobilitätswende ist zentrale Voraussetzung für die Stadt der Zukunft

Dirk Becker, Architekt sieht Mobilität als entscheidenden Faktor für eine liebenswerte Stadt der Zukunft. Jeder Mensch soll sich auf das Rad setzen können und sich von vorneherein sicher fühlen. Auch Heide Kröger-Brenner vom ADFC sieht die Mobilitätswende als eine Generationenaufgabe. Wir brauchen
sichere Schulwege für zu Fuß gehende und Rad fahrende Kinder.

Hartmut Koch vom Dortmunder Klimabeirat beklagt eine 40 Jahre alte autozentrierte Verkehrspolitik. Sie führte unter anderem zur Verlagerung der Straßenbahn in den Untergrund. Die Gehwege wurden schleichend durch parkende Autos erobert. Die Mehrfachnutzung von Parkplätzen (zum Beispiel Doppelnutzung von Parkplätzen an Supermarktketten am Wochenende) mag lokal und für eine Übergangszeit einen Ausweg darstellen. Stefan Kucera fordert aber ein konsequenteres Handeln: Nicht nur die Abhängigkeit vom Auto sollte reduziert werden, sondern konkret die Anzahl der Autos.

Eine klimaschonende Bauweise ist schwierig aber möglich

Ein vollkommen klimaneutrales Bauen gibt es nicht und wird es auch in absehbarer Zukunft nicht geben, so Christian Schlüter vom Dortmunder Gestaltungsbeirat. Trotz Holz als Baumaterial, dem Recycling von Baustoffen und klimaschonender Bauweisen belastet jeder Neubau Klima und Umwelt. Deshalb sollte immer mitüberlegt werden, inwieweit die Sanierung von Gebäuden einem Neubau vorzuziehen sind. Auch in Sachen Klimaanpassung hat Dortmund noch Nachholbedarf. Trotz eines ehrgeizigen Klimaanpassungsplans (MiKaDo) gibt es z.B. in Bochum schon konkrete Projekte zur Schwammstadt.

Kann der Flächenfraß für Wohnungsbau und Gewerbeansiedlungen
abgestellt werden? 

Die Wirtschaftsflächenkonferenz vor 2 Jahren hatte ein eindeutiges und unangenehmes Ergebnis zugleich. In Dortmund gibt es kein neues Bauland mehr, ohne rigoros in die Naturräume einzugreifen. Die Konsequenz für Christian Schlüter heißt: die vorhandenen Potenziale nutzen. In Deutschland sieht er für Umbauten und Aufstockungen ein Potenzial von 2,7 Millionen Wohnungen, heruntergerechnet auf Dortmund wären das etwa 20.000 Wohnungen. Leerstehende Gewerbeflächen in Wohnraum umzuwandeln, erfordert mehr Innovation als Standardbauten auf der grünen Wiese, sagt Annette Budde, Architektin. Hier müssen mehr Möglichkeiten für kreative Köpfe zur Nachnutzung ungenutzter Flächen geschaffen werden.

Auf ein weiteres Problem wies Tobias Scholz vom Mieterverein hin. Viele ehemalige Werkswohnungen in Wohnsiedlungen gerieten durch mehrfachen Eigentümerwechsel an überregionale Wohnungskonzerne, die vorrangig an Gewinn interessiert sind und nicht an einer langfristigen Perspektive für die Bewohnerinnen und Bewohner. Er fragt sich, welche Chancen es gibt, dass die Stadt Dortmund von Vernachlässigung bedrohte Wohnungsbestände zurückkauft und mit Fördermitteln als Sozialwohnungen betreibt.

Wem gehört der Boden?

Die Frage „Wem gehört die Stadt?“ muss laut Stefan Kucera konkreter und ehrlicher gestellt werden: „Wem gehört der Boden?“. Die bisherige Stadtplanung ist immer im Zusammenhang mit einem Aneignungswettbewerb um die knappe Ressource Boden zu sehen. in der Vergangenheit haben fast immer finanzkräftige Investoren das Rennen um das Eigentum an Grundstücken gewonnen. Tobi Habermann, Raumplaner fordert deshalb, das Prinzip „Erbpacht vor Verkauf“ konsequent politisch durchzusetzen. Das könnte schon im neuen Hafenquartier an der Speicherstraße praktiziert werden.

Die Stadtplanung der Zukunft muss besser, schöner und verantwortungsvoller sein.

Michaela Voß von den Parents for Future wünscht sich eine kürzere und klarere Formulierung der Ziele zukünftiger Stadtplanung. Die Akteure der Stadtgesellschaft sollen hierzu gemeinsame Visionen entwickeln. Da waren andere Teilnehmende eher skeptisch. So formulieren z.B. Wirtschaftsförderung und
Klimabeirat diametrale Zielsetzungen.

Effektiver ist es für Norbert Post, Architekt, klein anzufangen mit schnell umsetzbaren Popup-Projekten. Derzeit wird zur Umgestaltung einzelner Straßen wie der Saarlandstraße ein Riesenaufwand betrieben, der
enorme Ressourcen und finanzielle Kapazitäten bindet und nur einen sehr lokalen Effekt hat. Die schnelle Umsetzung temporärer Popup-Lösungen macht die positiven Effekte schnell sichtbar und liefert der Bürgerschaft sichtbare Erfolgserlebnisse. Verwaltung und Politik müssen hier mehr Spontanität zeigen
statt im eigenen Perfektionismus zu ertrinken.Stefan Kucera sieht auch eine Verantwortung bei den politischen Parteien, die eine Sprache finden müssen, die von den meisten Menschen verstanden wird. Stadtentwicklung wird nicht gemacht, um Menschen zu gängeln, sondern um qualitative Werte zu schaffen. Oft werden theoretische Begriffe wie Nachhaltigkeit von den meisten Menschen nicht verstanden. Klima- und Umweltschutz ist dazu da, damit es den Menschen gut geht.

Ein Gedanke zu „Wem gehört die Stadt?“

  1. Ja – …es geht beim Umweltschutz als Begriff gar nicht um die Interessen der Umwelt, sondern der Menschen.
    Meist dazu wohl eher sogar nur der Menschen in Entscheidungspositionen, die oft genug von Umwelt und einer Zukunftsfähigen Stadt mit wirksamer Klimafolgenanpassung nur theoretische Berührungspunkte zu berücksichtigen wissen aber die Mängel zu kompetenter Umsetzung nicht wirkhaft anzugehen gelernt haben; Die Verwaltung hingegen hat das gleiche Problem und alle wollen im tgl. Effizienz-Gerangel nur den schwarzen Peter loswerden ohne stadtgesellsschafts-politisch geschweige wirklich effektiv nach vorne zu kommen.
    (:Diametrale Missverständnisse, nach welchen Grundlagen Mensch nicht umzusetzen hätte, sondern umsetzen könnte aufzulösen, ist bzw. wäre da wohl ein guter Ansatz;)
    Grüßli jOh

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